Kooperationsprojekt Akteurinnen – Praxen – Theorien. Zur Wissensgeschichte der Ethnologie in der DDR
Forschungsfragen und Ziele
Das Projekt zielt auf eine systematische Erarbeitung der Wissens- und Fachgeschichte der Ethnologie in der DDR. Im Focus stehen die komplexen Wechselbeziehungen zwischen zentraler Wissenschaftsplanung, akademischen Traditionslinien, lokalen und regionalen Eigendynamiken sowie deutsch-deutschen und internationalen Vernetzungen, die im Spannungsfeld weltpolitischer Dynamiken und Veränderungsprozesse auf Wissenschaftspolitik und „Politiken des Wissens“ wirkten. Kalter Krieg und Blockbildung, globale Dekolonisierung, Befreiungs- und Widerstandsbewegungen und „1968“ akzentuieren eine problem- und kontextorientierte Analyse, die exemplarisch die Entwicklung eines „kleinen Faches“ im Rahmen der Wissenschaftspolitik eines unter wechselnden politischen Bedingungen zunehmend autoritären Staates verfolgt.
Ausgangspunkt für die Untersuchung ist die Erarbeitung der Wissenschaftsbiographien dreier Frauen (der Wissenschaftstheoretikerin Irmgard Sellnow, Akademie der Wissenschaften Berlin, sowie der (Alt-) Amerikanistinnen Ursula Schlenther, Humboldt-Universität Berlin und Eva Lips, Universität Leipzig), die die Entwicklung des Faches in der DDR – einzigartig für Gesamtdeutschland und europaweit – entscheidend mitgeprägt haben.
Teilprojekt Bonn
Forschungsfragen und Ziele
Das Bonner Teilprojekt beschäftigt sich mit der auf die Amerikas bezogenen Ethnologie der DDR, dem Spezialgebiet von Ursula Schlenther und Eva Lips. An diesem „klassischen“, lange vor 1945 etabliertem Regionalgebiet wird exemplarisch nachvollzogen, wie Prozesse der Anpassung, Neujustierung und Transformation unter veränderten gesellschaftlichen und politischen Bedingungen verliefen und welche Rolle dabei institutionellen Strukturen und einzelnen Akteuren zukam. Zweitens wird exemplarisch der Frage nachgegangen, welche Wirkungen das (außen-) politische Engagement der DDR im Kontext globaler Dekolonisierung sowie dessen Implikationen im Ost-West-Konflikt auf ein „kleines“ Fach mit unsicherem Status und seine Positionierung im interdisziplinären Kontext auf nationaler und internationaler Ebene entfalteten.
Das erste Untersuchungsfeld widmet sich der methodischen und theoretischen Positionierung der (mit Einbeziehung archäologischer, ethnohistorischer und linguistischer Perspektiven) interdisziplinär ausgerichteten ethnologischen Amerikaforschung in der DDR. Fachdebatten werden in dem transnationalen Kontext, aus dem Lips (aus dem US-amerikanischen Exil) und Schlenther (aus der BRD) in die DDR kamen, im Dialog mit anderen regionalen Orientierungen der Ethnologie (Afrika, Asien, Australien) einschließlich der Volkskunde und benachbarter Disziplinen erarbeitet. Dabei werden die Wirkungsstätten der beiden Frauen an den Universitäten in Berlin und Leipzig ebenso in den Blick genommen wie die Museen für Völkerkunde in Leipzig und Dresden.
Das zweite Untersuchungsfeld fragt nach der Positionierung der Amerikanistik und der Ethnologie im Verhältnis zu den Regionalwissenschaften, mit deren Aufbau in der DDR seit 1960 vor dem Hintergrund globaler Dekolonisierungsprozesse zunächst vor allem in Leipzig im Zuge eines internationalen Trends zur Etablierung von „Area Studies“ begonnen wurde. Thematisiert werden Gründe, Reaktionen und Wirkungen für einen Immatrikulationsstopp für Hauptfachstudierende der Amerikanistik und Ethnologie 1962 sowie die uneinheitliche fachliche Zuordnung der Universitätsinstitute in Berlin und Leipzig zu den Geschichts- bzw. Regionalwissenschaften im Zuge der dritten Hochschulreform 1968 einschließlich der Einflussnahme (fach-)politischer Instanzen.
In dem Projekt kooperieren die Humboldt-Universität zu Berlin mit PD Dr. Leonore Scholze-Irrlitz (Landesstelle für Berlin-Brandenburgische Volkskunde am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin), Dr. Blanka Koffer (Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin) und Dr. Sabine Imeri (Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität Berlin) sowie die Rheinische Friedrich-Wilhelm-Universität Bonn, Abt. für Altamerikanistik.
Leitung des Bonner Projektteils:
Dr. Ingrid Kreide-Damani unter Mitarbeit von Prof. Dr. Karoline Noack
Finanzierung und Laufzeit
Das Forschungsprojekt wird von der Volkswagenstiftung finanziert und hat eine zweijährige Laufzeit vom 01.01.2017 bis zum 31.12.2018.