Dr. Catherine Julien - in memoriam
Dr. Catherine J. Julien (19. Mai 1950 – 27. Mai 2011)
Am 27. Mai 2011 starb in Turlock, Kalifornien, die Ethnohistorikerin und Archäologin Catherine Julien. Ihre wissenschaftliche Karriere führte sie über verschiedene Stationen in den USA und Peru auch nach Bonn, bevor sie 1996 zum Department of History der Western Michigan University ging, wo sie bis zu ihrem Tod tätig war.
Catherine Julien kam 1989 als Humboldt-Stipendiatin an das damalige Seminar für Völkerkunde der Universität Bonn. Nach einer Verlängerung ihres Stipendiums 1990 und einem kurzen Aufenthalt in den USA kehrte sie nach Bonn zurück, wo sie sich von 1992 bis 1995 an dem DFG-Projekt zum Fundort Samaipata in Bolivien beteiligte. Julien übernahm den ethnohistorischen Teil des Projekts und suchte bei Forschungsaufenthalten und auf ausgedehnten Reisen in Archiven Spaniens, Boliviens und Argentiniens nach Quellen über Samaipata und andere Regionen Ostboliviens.
Als Ergebnisse ihrer Forschungen publizierte sie 1997 in Zusammenarbeit mit einer jungen deutschen Kollegin und einer bolivianischen Historikerin Dokumente zur frühen Geschichte der Region Tarijas im Südosten Boliviens. Ein zweiter Band zu Santa Cruz de la Sierra folgte 2008. Bis kurz vor ihrem Tod war sie mit einer weiteren Edition beschäftigt, die ebenfalls auf ihre Beteiligung an dem Samaipata-Projekt zurückgeht. In diesem Band sollen zahlreiche Dokumente zu den Erkundungszügen von Alvar Núñez Cabeza de Vaca in Argentinien und Paraguay publiziert werden.
Während ihrer Zeit in Bonn übernahm Julien verschiedene Lehrveranstaltungen. Sie unterstützte und förderte in großzügiger Weise Studenten, Magisterkandidaten und Doktoranden bei ihren Forschungen. Als Ergebnisses ihrer eigenen Studien erschienen zwei Publikationen in der Reihe Bonner Amerikanistische Studien. Zum einen war dies eine grundlegende Studie zu Provinzeinteilung im Condesuyu, einem der vier Teile der Inkareichs, die 1991 veröffentlicht wurde. 1993 kam dazu ein zweiter Band mit zwei tasas (Steuererfassungen) aus der Zeit des Vizekönigs Francisco de Toledo, die aus der Region der Lupaca westlich des Titicacasees stammten. Die hier veröffentlichten Dokumente waren von Julien zusammen mit einer studentischen Arbeitsgruppe transkribiert worden.
Beide Veröffentlichungen bei BAS spiegeln wichtige Forschungsinteressen Juliens. Der Band über das Condesuyu war eine Fortsetzung ihrer Auseinandersetzung mit Territorialität und Provinzeinteilungen im Inkareich und in der frühen Kolonialzeit Perus, die sie bereits in ihrer Doktorarbeit begonnen hatte. Die Veröffentlichung der tasas nahm dagegen den regionalen Schwerpunkt der Dissertation auf, die Beschäftigung mit der Region um den Titicacasee. Sie reflektiert aber auch Juliens Interesse an andinen Wirtschaftsformen sowie ihre intensive Auseinandersetzung mit der Regierungszeit des Vizekönigs Toledo.
Eine weiteres Zeugnis von Juliens Aufenthalt in Deutschland ist der Band „Die Inka“, der 1998 erstmals in Reihe Beck Wissen erschienen ist. Mit diesem Buch liegt endlich wieder eine einführende Darstellung des Inkareichs auf Deutsch vor. Es greift in einigen Abschnitten wesentlichen Erkenntnissen vor, die Julien in ihrer herausragenden Studie zur Geschichte und Geschichtsüberlieferung bei den Inka mit dem Titel „Reading Inca History“ (2000) weiterentwickelte.
Diejenigen Kollegen aus Bonn, die Catherine Julien näher kannten oder mit ihr im Archivo de Indias in Sevilla geforscht haben, haben erlebt, was ihre Persönlichkeit auszeichnete: eine asketische Haltung gegenüber Bequemlichkeiten im Alltag und ihr anspruchsvolles Arbeitspensum, das sie bereits im Morgengrauen in Angriff nahm. Dabei hegte sie eine tiefe Leidenschaft für historische Prozesse und Dokumente der Vergangenheit. Nicht nur in ihren Schriften, sondern auch in Gesprächen erweckte sie längst vergangene Chronisten und Autoren der Kolonialzeit der Andenländer mit ihrem Enthusiasmus zum Leben. Hinzu kamen ihr herzliches Lachen und ihr feiner Humor.
Ihrem nahen Tod stand sie tapfer gegenüber, ja sie hat ihn in Gesprächen mit der ihr eigenen wissenschaftlichen Objektivität sogar thematisiert.
Der physische Tod bedeutet nicht das absolute Ende eines Menschen. Wenn nach den Worten Julien Greens der grausamste aller Tode der ist, bei dem das Bild in der Erinnerung der anderen verblasst, wird Catherine Julien uns lange in dieser Form lebendig begleiten.